Malwerkstatt für den Untergrund
ein Projekt im Rahmen von QUIVID; von Heike Mutter und Ulrich Genth mit den Mitarbeitern der Münchner Stadtentwässerung
Die Idee

Es war einmal...

... Im April 2008 hat die Münchner "Kommission für Kunst am Bau und im
öffentlichen Raum" für zwei neue Kanalbetriebsstationen einen
Kunstwettbewerb empfohlen. Von der Münchner Stadtentwässerung MSE wurde
eine ausgewählte Gruppe verschiedener Künstlerinnen und Künstler aus
München, Berlin, Hamburg und Wien eingeladen. Grundlage hierfür ist eine
Regelung der Stadt München mit dem Ziel, zeitgenössiche Kunst im Rahmen
kommunaler Bauvorhaben mit bis zu 2 Prozent der Bauwerkskosten zu
fördern (Programm QUIVID - www.quivid.de).




Kunst für die Münchner Stadtentwässerung

Als wir die Anfrage zur Teilnahme am Wettbewerb der Münchner Stadtentwässerung gelesen haben, mussten wir zunächst schmunzeln. Die Kanalisation ist ein sehr ungewöhnlicher Ort für ein Kunstwerk. Die Aufgabenstellung, die damit an uns teilnehmende Künstler gerichtet war, ist ebenso ungewöhnlich. Während der vorbereitenden Gespräche mit Quivid und der Münchner Stadtentwässerung hat sich herausgestellt, dass das Kunstwerk hauptsächlich für die Belegschaft der Münchner Stadtentwässerung da sein wird. Weder die Räumlichkeiten der Kanalbetriebsstationen noch die Kanäle selbst sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Betrachteten wir also die Adressaten unseres zukünftigen Kunstwerkes, so hatten wir es mit einer Gruppe von Mitarbeitern multinationaler Herkunft zu tun, die aufgrund ihrer Tätigkeit überwiegend männlichen Geschlechts sind. Während ihrer Arbeit setzen sie sich mit einem ganz konkret funktionalen Umfeld und dessen Aufgaben auseinander. Sie identifizieren sich über ihre besondere, für das öffentliche Leben äußerst wichtige Tätigkeit als Gemeinschaft.


Erste Annäherung

Zunächst einmal haben wir uns entschieden, die Gegebenheiten, so wie sie sind, aufzunehmen. Bei früheren Kooperationen mit Betriebsbelegschaften haben wir die Erfahrung gewonnen, dass Vertrauen zwischen uns als Künstlern und den Beschäftigten primär über die handwerklichen Aspekte der künstlerischen Praxis entsteht. Auch persönliche Gespräche spielen dabei eine große Rolle. Daraus folgt die Idee der bewussten Zusammenführung einer klassischen künstlerischen Technik wie Malerei oder Bildhauerei mit der künstlerischen Praxis sozialer Interaktion. Die Tätigkeit der Kanalarbeiter im Untergrund hat etwas sehr Geheimnisvolles. In der Wahrnehmung der Bevölkerung herrscht darüber ein diffuses Halbwissen. Für uns war das ein Umstand, der es reizvoll machte, die Bevölkerung in einen möglichen Kommunikationsprozess mit einzubeziehen. Das Kanalsystem unter der Stadt ist nur für Insider  zugänglich. Obwohl es auch an wenigen Stellen besichtigt werden kann, bleibt es doch dem Großteil der Bevölkerung verborgen. Es spielt sich „im Untergrund“ ab. Hierdurch ist es eng mit dem Unbewussten verknüpft. Die Unterwelt, wie sie sich am Beispiel des   Kanalsystems manifestiert, liefert einen unendlichen Schatz an Geschichten und Mythen wahren und fiktiven Charakters. Deren Archivierung und Verknüpfung wartet geradezu auf ihre Umsetzung.

Was aber kann dann das Resultat, das letztendliche Werk sein? Der Ort der Kanalisation und die damit verbundene Vorstellung, dort ein Kunstwerk zu verorten, birgt eine absurde Spannung, die wir aufgreifen wollen. Uns hat die Vorstellung nicht mehr losgelassen, einen riesigen monumentalen „Ölschinken“ herzustellen, der dann seinen Platz in den Betriebsgebäuden finden muss. Damit schaffen wir ein identifikationsstiftendes Objekt, dessen Existenz allein ein absurder Mythos ist.



Das Gemälde entsteht

Unser Projekt sieht vor, eine temporäre Malwerkstatt zu gründen, die nach dem Vorbild mittelalterlicher Malwerkstätten organisiert ist. Die Werkstatt wird als praktische Arbeitsform nur so lange existieren, wie wir sie benötigen, um das monumentale Ölgemälde auszuführen. Unter Einbeziehung eines Illustrators und eines malenden Assistenten werden wir ein klassisch wirkendes Gemälde ausführen - komplex, unüberschaubar und rätselhaft. In seiner Erscheinungsform wird es den heute nicht mehr vollständig zu entschlüsselnden allegorischen Bildern des Mittelalters ähnlich sein. Die Allegorie als Form der indirekten Aussage nutzen wir, um einen einheitlichen Stil des Gemäldes zu prägen. Andererseits aber auch, um darin möglichst verschiedene Szenen und Bezüge vereinen zu können: Fantastisches, Erfundenes, aber auch Erlebtes aus der Alltagswelt findet dort seinen Platz. In diesem formalen Rahmen erarbeiten wir ein komplexes Porträt der gesamten Belegschaft der Kanalbetriebshöfe. Wir beginnen mit einer Befragung aller partizipationswilligen Mitarbeiter und motivieren sie, sich über einen jeweils für sie wichtigen Mythos oder eine Geschichte aus der Unterwelt Gedanken zu machen. Im Anschluss daran erarbeiten wir mit jedem eine Form zu seinem Beitrag und definieren gemeinsam mit ihm, in welcher Weise er in dem großen Gemälde dargestellt sein möchte. Für uns ist bei diesem Akt des „Porträtierens“ von großer Wichtigkeit, dass wir von dem zu Porträtierenden eine intensive Auseinandersetzung über das „Wie“ seiner Darstellung einfordern. Jeder kann den Abstraktions- oder Verrätselungsgrad seiner Darstellung selbst bestimmen oder ihn im Gespräch mit uns erarbeiten. Es ist also möglich, als erkennbare Person auf der Bildfläche zu erscheinen, aber auch als Tier, Berg, Gemüse, Filmfigur oder als komplexere Abstraktion in Form einer Landschaft oder Geschichte.


Pieter Brueghel der Ältere "Der Triumpf des Todes", 1562


Den Bildraum werden wir so anlegen, dass er einige wiedererkennbare Elemente des Münchner Stadtraumes beinhaltet, die sowohl überirdischer Natur sein werden, als auch aus dem Fundus des unterirdischen Stadtraumes kommen und so zum Insiderwissen der Belegschaft gehören. Das fertige Ölbild erfüllt alle Kriterien eines anspruchsvollen Monumentalbildes, das die Momentaufnahme der Aktion für die Ewigkeit konserviert. Nachdem auch das letzte Mitglied der jetzt tätigen Belegschaft in den Ruhestand gegangen sein wird, wird es zu einem Historienbild der Kanalbelegschaft, also zum Porträt einer temporären Gemeinschaft mit ihren zeitgeschichtlichen Bezügen. Daher eignet es sich vorzüglich, um eine Wand in einem der Betriebshöfe zu füllen oder von der Stadtentwässerung München an ein Museum weitergegeben zu werden, um dort auf Dauer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Nach Fertigstellung des Gemäldes werden wir die Bildfläche ausschnittartig fotografieren lassen. Diese Ausschnitte werden dann als Großplakate produziert. Auf vorhandenen Werbeflächen im Stadtraum sollen diese dann für einen Zeitraum von rund einem Monat zu sehen sein. Der auf der Plakatwand dargestellte Bildausschnitt geht dabei eine räumliche Beziehung zu dem tatsächlich darunter befindlichen städtischen Untergrund ein. Eine kleine Bildunterschrift in Form einer Gemälde-Signatur verweist auf die Internetseite.


Die Internetseite http://www.untergrund-malwerkstatt.de

Die Internetseite richtet sich an die Mitarbeiter der Stadtentwässerung München. Sie ist über die vielen von uns persönlich geführten Gespräche hinaus eine Kommunikationsplattform zwischen uns und unserem Auftraggeber. In der Rubrik "Sammlung" finden sich sowohl von "Kanalern" erzählte Geschichten als auch von uns recherchierte Geschichten und Mythen zum Thema Untergrund. Über die Rubrik "Das Bild" kann der Benutzer der Internetseite dem „Künstleratelier“ einen virtuellen Besuch abstatten und die Entstehung des Bildes verfolgen. Im Laufe des Projektes wird sich die inhaltliche Gestaltung der Internetseite dem jeweiligen Stadium des Projektes anpassen. 


Der Betriebshof der "leer"ausgeht

Da wir im Laufe des Projektes "Malwerkstatt für den Untergrund" mit den Mitarbeitern der Betriebsstation Ost und der Betriebsstation West zusammenarbeiten, jedoch nur ein gemeinsames Kunstwerk entsteht, geht zwangsläufig eine der beiden Stationen "leer" aus. Der zweite Betriebshof, der nicht das Gemälde erhält, wird mit einer Dokumentation der Außenraum-Plakatierungsaktion bestückt. Gedacht ist an eine Fotoserie mit fünf Bildern aus dem Stadtraum, die auf einer geeigneten Wand gezeigt werden kann.